Warum die Eppelheimer keine Heidelberger wurden: Gescheiterte Eingemeindungspläne 1926 und 1935

Die älteren Eppelheimerinnen und Eppelheimer wissen aus eigenem Erleben und andere vielleicht vom Hörensagen, dass Anfang der 1970er Jahre die Eingemeindung unseres Ortes nach Heidelberg drohte. Gegen die Pläne, die in Stuttgart im Zuge einer großen Verwaltungsreform geschmiedet wurden, formierte sich massiver und parteiübergreifender Widerstand. „Neubürger demonstrierten mit Eppelheimer Oldies Gemeinsamkeit“, ist hierzu in Hans Stephans Buch „Unter Eppelheimer Dächern“ zu lesen und weiter: „Nicht übertrieben: echter Stallgeruch dampfte aus den Poren und Achselhaaren. Und die Stallhasen, doch wirklich eine wehrlose Rasse, die wollten sich auf keinen Fall dem Heidelberger Löwen zum Fraß darbieten“.

Weit weniger bekannt dürfte sein, dass die Eingemeindung nach Heidelberg schon einige Jahrzehnte zuvor diskutiert worden war, und zwar auf Initiative der Eppelheimer selbst, die den freiwilligen Anschluss an die Nachbarstadt zweimal in Betracht zogen: 1926 und 1935. Der Gedanke an eine Eingemeindung lag in diesen Jahren nahe, denn die Nachbarn Wieblingen und Kirchheim waren 1920 zu Heidelberger Stadtteilen geworden, und 1927 wurde auch Rohrbach eingemeindet. Außerdem war Heidelberg mit seinem neugebauten Stadtteil Pfaffengrund in den 1920er Jahren bis an den Ortseingang Eppelheims herangerückt.

Auf die kommunalpolitische Tagesordnung kam die Eingemeindungsfrage im Herbst 1926 nicht etwa im Zuge von irgendwelchen Planungsfeststellungsverfahren, sondern eher zufällig durch ein Schreiben des Eppelheimer „Gewerbe- und Handwerkervereins“ an den Gemeinderat. Der Vorsitzende des Vereins, der Maurermeister Jakob Müller, klagte darin über einen Beschluss des Heidelberger Stadtrats, dass kommunale Aufträge nur noch an Heidelberger Anbieter vergeben werden sollten. Für die Eppelheimer Gewerbetreibenden sei es, so Müller, eine „Lebensfrage“, wenn künftig niemand mehr bei Heidelberger Zuschlägen berücksichtigt werde. Die einzige Lösung des Problems sah der Verein darin, dass der Gemeinderat „beim Stadtrat Heidelberg vorstellig“ werde, „um die Gemeinde Eppelheim nach Heidelberg einzugemeinden“.

Bittschrift des Gewerbe- und Handwerker-Vereins Eppelheim zur Eingemeindung nach Heidelberg vom 8. Oktober 1926 (Stadtarchiv Eppelheim)

Wie der Gemeinderat pro und contra des Vorschlags diskutierte, geht aus dem Sitzungsprotokoll nicht hervor. Jedenfalls beauftragte er den Bürgermeister Andreas Jäger, an den Heidelberger Stadtrat heranzutreten. Jäger tat dies mit einem Schreiben vom 27. Dezember 1926, möglicherweise als er zwischen den Feiertagen seinen Schreibtisch aufräumte. Besonderes Gewicht scheint Jäger dem Anliegen nicht zugemessen zu haben, denn er fragte nur in ganz dürren Worten und ohne eine sachliche Begründung des Anliegens, ob der Heidelberger Stadtrat zu Eingemeindungsverhandlungen bereit sei. So wie im Eppelheimer Rathaus der Anschlusseifer, so fehlte im Heidelberger der Expansionsdrang: Oberbürgermeister Ernst Walz antwortete kurz nach dem Jahreswechsel, dass die Stadt Heidelberg in den nächsten Jahren „derartig große Aufgaben zu bewältigen“ habe, dass die Eingemeindung Eppelheims „vorerst nicht in Frage kommen“ könne.

Wie man diese Absage in Eppelheim aufnahm, ist den Gemeindeakten nicht zu entnehmen. Möglicherweise bedauerte man sie wenige Jahre später, als die traditionell arme Gemeinde von den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise schwer getroffen wurde und 1932 die Gemeindefinanzen durch die hohen Fürsorgekosten für die ortsansässigen Arbeitslosen unmittelbar vor dem Ruin standen. Ein Heidelberger „Rettungsschirm“ hätte den Eppelheimern in dieser Zeit Manches erspart, auch die Inanspruchnahme von Naturallieferungen durch ein Notprogramm für die ärmsten Gemeinden des Landes. Nun liegt der Gedanke nahe, dass die Eingemeindungsfrage 1935 wiederaufkam, weil man die Erfahrung gemacht hatte, als kleine Gemeinde in einer Krise kaum überlebensfähig zu sein. Allerdings hatten die erneut einsetzenden Diskussionen einen ganz anderen Hintergrund und waren Teil parteiinterner Intrigen der Eppelheimer Nationalsozialisten, die im Rathaus seit dem Frühjahr 1933 den Ton angaben. Um sie verständlich zu machen, muss kurz auf die Entwicklung der NSDAP im Ort zurückgeblickt werden.

Der starke Mann unter den Eppelheimer Nationalsozialisten war der aus Halle a. d. Saale gebürtige und seit 1930 in der Gemeinde lebende Paul Hübner, der im Herbst 1932 als Arbeitsloser die Leitung der Ortsgruppe der NSDAP übernahm. Diese bestand damals aus ungefähr zwei Dutzend überwiegend jungen Männern, die vielfach in prekären wirtschaftlichen Verhältnissen lebten. Größe und Sozialprofil der Ortsgruppe änderten sich, als mit der nationalsozialistischen Machtübernahme im Reich im Frühjahr 1933 zahlreiche Neumitglieder aus Opportunismus in die Partei drängten – darunter auch einige der bislang in der Gemeindepolitik tonangebenden Bauern, selbständigen Handwerker und Kaufleute. Zwischen Alt- und Neuparteigenossen zu vermitteln, gelang Hübner nicht, zumal ihm mindestens ebenso sehr wie das Wohl der Partei das eigene Fortkommen am Herzen lag.

Parteiausweis Paul Hübners (1889-1941), Ortsgruppenleiter der NSDAP Eppelheim 1932-1935 und Bürgermeister 1934-1941 (Generallandesarchiv Karlsruhe)

Mit den Altparteigenossen überwarf sich Hübner, als er bei der Aufstellung der Wahlliste für den politisch gleichgeschalteten Gemeinderat im Mai 1933 auf die Neuparteigenossen setzte, und mit jenen geriet er in Konflikt, als im Dezember 1933 der Bürgermeisterposten neu zu besetzen war. Hübner konkurrierte dabei mit dem Landwirt Georg Philipp Martin, der spät zur NSDAP übergelaufen war, und unterlag ihm mit vier zu 13 Stimmen des Bürgerausschusses deutlich. Bürgermeister wurde dennoch Hübner, da die Kommunalaufsicht des badischen Innenministeriums auf Intervention der Kreisleitung der NSDAP die Wahl Martins annullierte. Ruhe kehrte damit unter den Eppelheimer Nationalsozialisten nicht ein: Mehrere Mitglieder schwärzten Hübner wegen Unfähigkeit und Korruption bei höheren Parteistellen an, und Hübner wehrte sich, indem er gegen einige Genossen Parteiausschlussverfahren anstrengte. Die Kreisleitung der NSDAP wurde der Eppelheimer Querelen bald überdrüssig und setzte Hübner im Frühjahr 1935 als Ortsgruppenleiter ab. Seine Nachfolge trat Kurt Wörner an, ein Volksschullehrer, der aus dem Odenwald nach Eppelheim versetzt worden war und zu den Günstlingen des Heidelberger Kreisleiters Wilhelm Seiler zählte.
In einer seiner mutmaßlich ersten Amtshandlungen richtete Wörner im Namen der NSDAP-Ortsgruppe im Mai 1935 ein Schreiben an die Kreisleitung, in dem diese aufgefordert wurde, sich beim Innenministerium für eine Eingemeindung Eppelheims nach Heidelberg einzusetzen. Als äußeren Anlass nannte das Schreiben die kurz zuvor erfolgte Vereinigung des Grenzhofs mit Heidelberg, durch die die „Gemarkung Eppelheim von der Gemarkung Heidelberg umklammert“ sei. In der Sache wurde darauf verwiesen, dass Eppelheim jetzt schon „verkehrs- und wirtschaftspolitisch unlösbar mit der Stadt Heidelberg verbunden“ sei. Eppelheim sei durch die Straßenbahn an Heidelberg angeschlossen, und dass beide Gemeinden eine verkehrspolitische Einheit bildeten, zeige sich auch daran, dass die Eppelheimer den eigenen Bahnhof kaum noch nutzten. Wirtschaftlich bereite die Trennung der beiden Gemeinden nur Probleme: Die Eppelheimer Bauern seien wegen der geringen Größe der eigenen Gemarkung darauf angewiesen, Ackergrundstücke auf Heidelberger Gemarkung zu kaufen oder zu pachten. Viele Eppelheimer Bauhandwerker seien arbeitslos, „während die Heidelberger Unternehmer, die auf auswärtige Arbeitnehmer angewiesen sind, vorwiegend solche aus dem Odenwald beschäftigen. Sämtliche Arbeitslosenunterstützungen werden in Heidelberg ausbezahlt. Ein großer Prozentsatz dieser Beträge bleibt in Heidelberg. Auch die Einkäufe der in Arbeit stehenden Volksgenossen werden – ausgenommen die Kleinigkeiten des täglichen Bedarfs – in Heidelberg getätigt“.

Die Schlussfolgerung war für die Eppelheimer NSDAP-Ortgruppe klar: „Dieser wirtschaftlich und verkehrspolitisch einheitliche Organismus ist nicht künstlich geschaffen, sondern hat sich im Laufe der letzten 3 Jahrzehnte entwickelt. Es ist heute, wo alle unsinnigen Grenzen innerhalb unseres Vaterlandes fallen, ein Unding diese organische Einheit durch jetzt künstlich und erzwungen wirkende kommunalpolitische Grenzziehung zu zerreißen. Die heutige Trennung ist für beide Teile nur von Nachteil und die Eingemeindung Eppelheims zu Heidelberg läßt für die Zukunft alle Beteiligten nur Gutes erhoffen. Es ist deshalb kein Wunder, daß die Eppelheimer Bevölkerung ohne jegliche Ausnahme der Hoffnung ist, daß das Ministerium des Innern die Vereinigung der beiden Kommunen verfügt“.

Kreisleiter Seiler leitete das Anliegen an das Bezirksamt weiter und unterstrich die sachliche Relevanz mit dem Hinweis: „Wirtschaftlich gehört Eppelheim längst schon zur Stadt Heidelberg“. Allerdings verhehlte Seiler seine Bedenken nicht: Die Stadt Heidelberg werde „kein grosses Interesse haben, da ihrer Entwicklung zur Wohnstadt durch die Vereinigung nicht gedient wird. Auch werde sie im Falle der Eingemeindung grössere Ausgaben haben.“ Das Bezirksamt wiederum teilte dem Eppelheimer Bürgermeister Seilers Einschätzung mit und ersuchte ihn nach Beratung mit dem Gemeinderat um Stellungnahme. Diese erfolgte am 19. Juni mit der Mitteilung Hübners, dass sich der Gemeinderat „für die Einleitung von Eingemeindungsverhandlungen mit der Stadtgemeinde Heidelberg“ ausgesprochen habe. Allerdings wollte man diese nicht selbst in Gang setzen, sondern bat das Bezirksamt um weitere Veranlassung.

Der weitere Verlauf der Angelegenheit ist in den Eppelheimer Akten nur ungefähr nachzuvollziehen: Die Stadt Heidelberg wollte die Katze nicht im Sack kaufen, sondern forderte von den Eppelheimern zunächst die Rechenschaftsberichte für die letzten Rechnungsjahre an und auch eine Übersicht der Arbeitslosenzahlen. Die Übermittlung dieser Unterlagen kündigte Hübner am 20. September in einem Schreiben an das Bezirksamt an, dem er allerdings die Bemerkung hinzufügte, „daß hierorts an der Vereinigung der Gemeinde mit der Stadtgemeinde Heidelberg kein großes Interesse mehr vorhanden ist; ein Interesse an der Vereinigung besteht nur noch in kleinen Kreisen“. Zwar suchte er gut ein Jahr später, im Dezember 1936, beim Heidelberger Oberbürgermeister Carl Neinhaus in der Eingemeindungssache um einen Gesprächstermin nach; dieses Gespräch aber blieb, wenn es denn überhaupt stattgefunden haben sollte, folgenlos.

Da von einem kompletten Meinungsumschwung – im Mai 1935 begrüßte die Eppelheimer Bevölkerung die Eingemeindung angeblich „ohne jegliche Ausnahme“, und vier Monate später habe Interesse an der Vereinigung nur noch „in kleinen Kreisen“ bestanden – nicht auszugehen ist, müssen andere Gründe für das rasche Scheitern des Projekts gesucht werden. Zu finden sind sie in den erwähnten parteiinternen Querelen: Das Schreiben der Ortsgruppe, in dem die Eingemeindung gefordert wurde, war ein Frontalangriff des neuen Ortsgruppenleiters Wörner auf seinen Amtsvorgänger Hübner: Schließlich hätte dieser im Falle der Angliederung Eppelheims an Heidelberg nicht nur seinen Bürgermeisterposten verloren, sondern wäre in die Arbeitslosigkeit zurückgefallen, aus der er sich 1933 dank seiner parteipolitischen Verdienste hatte befreien können.  Hübner hatte also kein Interesse, das Eingemeindungsprojekt voranzubringen.

Vielmehr fand er einen Weg, es zu sabotieren, wobei ihm die höhere Politik zur Hilfe kam: Zum 1. April 1935 nämlich trat im Zuge des weiteren Ausbaus der nationalsozialistischen Diktatur die „Deutsche Gemeindeordnung“ in Kraft, die nun auch in den Kommunen das „Führerprinzip“ wirksam werden ließ, indem die Gemeinderäte nicht mehr gewählt, sondern von den Bürgermeistern ernannt und zudem von Beschluss- zu Beratungsgremien herabgestuft wurden. Dies bot Hübner die Möglichkeit, sich jener Gemeinderäte, die sich im Juni 1935 für die Einleitung von Eingemeindungsverhandlungen ausgesprochen hatten, zu entledigen. In den neuen, von Hübner ernannten Gemeinderat gelangten im Oktober 1935 nur zwei Altmitglieder; die vier neuen, so wird man mutmaßen dürfen, waren keine Anhänger der Eingemeindung, die letztlich deshalb nicht zustande kam, weil der nationalsozialistische Bürgermeister so hartnäckig an seinem Sessel klebte.

(Frank Engehausen)